Ein Vortrag von Prof. Dr. Werner Daum
In den letzten Jahrzehnten ist immer deutlicher geworden, wie eng Griechenland mit dem Orient verbunden war, und wie sehr Hellas von dort die Impulse erhalten hat, die das Wunder Griechenland überhaupt erst ermöglicht haben. Dies gilt für Architektur und Kunst, für Religion und Mythos. Der Weg ging von Ost nach West. Die folgenreichste Übernahme, ohne die es die intellektuelle Chiffre “Griechenland” nicht gäbe, war die des Alphabets. Auch bei Homer hat die Forschung orientalische Elemente ausgemacht: Einzelne Szenen, etwa die Idee einer Götterversammlung, oder die Aufteilung der Herrschaft auf drei Brüder-Götter, Hinweise auf Handel und Seefahrt, und anderes mehr.
Der Vortrag wird zeigen, dass die Odyssee – genauer gesagt: Odysseus‘ letzte Fahrt von Kalypsos Insel nach Ithaka – ein orientalisches Vorbild hat, und dass Homer dieses in schriftlicher Form vorgelegen haben muss. Es fällt z.B. auf, dass der erste Gesang der Odyssee mit einer präzisen astronomischen Zeitangabe einsetzt: Es ist Neujahr. Dieses “Neujahr” kann Homer nur aus Babylon erlernt haben. Auch inhaltlich kommt die Geschichte aus dem Orient: Die Odyssee ist kein Abenteuer-Roman, sie ist ein Märchen, dem seine ursprüngliche Form – ein semitischer religiöser Mythos – noch deutlich anzusehen ist, wenn man die altorientalischen Texte heranzieht.
Prof. Dr. Werner Daums Fachgebiet sind die Geschichte und Kultur der Länder beiderseits des Roten Meeres. Er war deutscher Missionschef in Albanien, Jemen, Sudan und Kuwait. Seine anthropologischen Veröffentlichungen kreisen um das Thema des Fortlebens antiker, inschriftlich belegter religiöser Vorstellungen in heute noch beobachtbaren Ritualen. Als Museumskurator war er u.a. für die Ausstellung “Jemen – 3000 Jahre Kunst und Kultur des Glücklichen Arabien” in München verantwortlich, die erfolgreichste kulturhistorische Ausstellung in Deutschland.
Datum/Zeit
Datum - 22/06/2022
18:00 - 19:30